Die Folgen des PSG II für die Pflegepraxis

 

 

Die Folgen des PSG II für die Pflegepraxis

 

Das Pflegestärkungsgesetz II verspricht vielfältige Verbesserungen. Die „Ausweitung der Pflegeleistungen“ durch das PSG II bedeutet auch, dass zunehmend mehr Leistungen erbracht werden müssen. Gleichzeitig fehlt es aber an professionell ausgebildeten Pflegekräften und es wird angesichts der demografischen Entwicklung und der Unattraktivität des Pflegeberufs immer schwieriger, dafür Menschen zu gewinnen. Ein Mehr an Personal-Stellen ist allerdings durch das PSG II nicht refinanzierbar.

 

Die Rehabilitation, die Beratung und Verbesserungen für pflegende Angehörigen stehen im Vordergrund des Gesetzes. Familiäre Unterstützung, eigene Vorsorge und ehrenamtliche Strukturen und Nachbarschaftshilfe sollen Lösungsansätze darstellen.

 

Dabei werden gesellschaftliche Entwicklungen wie die Singularisierung völlig ausgeblendet. Die Pflege durch die Familie wird immer weniger möglich sein, so dass eine gute stationäre und teilstationäre Infrastruktur gefragt sein wird. Während man in der Kinderbetreuung das Problem erkannt hat und professionelle Betreuungsangebote schafft, will man die Altenpflege nun scheinbar in noch größerem Maße den Angehörigen aufbürden, die doch zunehmend in der Wirtschaft gebraucht werden. Natürlich will die Mehrheit im eigenen Zuhause gepflegt werden, aber wir wissen auch, dass sich das nicht immer bewerkstelligen lässt und dass es Menschen gibt, die sich dennoch bewusst für ein Heim entscheiden.  Und wir wissen, dass es so wie bisher nicht weiter gehen darf!

 

Aber wie sieht es aus mit der stationären Pflege? Eine für die Betroffenen vorteilhafte Änderung gilt es hervorzuheben: Der einrichtungsspezifische Eigenanteil. Das bedeutet, dass Pflegebedürftige in einem Heim seit 2017 nicht mehr befürchten müssen, dass sich bei einer Höherstufung der zu zahlende Eigenanteil erhöht. Finanziell gesehen, ein klarer Gewinn für die Pflegebedürftigen.  Die Verliererseite: Die persönliche Zuzahlung wird nach einem komplizierten Umrechnungsverfahren, das mehr bürokratischen Aufwand für die Heime verursacht, gedeckelt. Je mehr hohe Pflegegrade eine Einrichtung hat, desto geringer wird dieser Eigenanteil. Die Heime haben zukünftig, wenn sich Pflegegrade abweichend von der Vorauskalkulation deutlich verschieben sollten, höhere wirtschaftliche Risiken zu tragen.
Die Pflegekräfte in den Pflegeheimen dürfen sich fragen, ob mit dem PSG II sich auch Verbesserungen für ihren Notstand ergeben? Die Antwort: Zunächst gar nicht und mittelfristig sind eher noch weitere Verschlechterungen zu befürchten. Langfristig wird es darauf ankommen, ob es gelingt, den Druck nach oben zurückzugeben.

 

Welche Folgen wird das PSG II auf die Praxis der stationären Pflege haben?

 

Folge 1:
Durch das PSG II können vermehrt Leistungen im ambulanten und teilstationären Bereich angeboten werden, zum Beispiel als Tagespflege, also
deutliche Verbesserungen für pflegende Angehörige. Hatten die Träger von Pflegeheimen schon heute Probleme, examinierte Fachkräfte auf dem Markt zu gewinnen, werden viele Fachkräfte und auch Hilfskräfte sich gerne und mit guten Gründen auf den Markt der ambulanten und teilstationären Pflege abwerben lassen.

 

Fazit:
1. Die Personalnot (=unbesetzte Stellen) wird steigen! In der Folge wird es zu Belegungsstopps durch Heimaufsichten kommen (müssen).
2. Die Gesetzgeber werden die Fachkraftquote weiter absenken, was den Beruf noch unattraktiver machen wird, weil die  Belastung noch mehr ansteigen wird. Wenn die 43b-Kräfte auf dem Markt eine Chance haben wollen, sind sie gut beraten, sich zum Pflegehelfer weiter zu qualifizieren. Damit würden sie für die Arbeitgeber attraktiver, weil breiter einsetzbar. Sie werden kaum noch betreuen, sondern fast nur noch pflegen, was wiederum die Prüfinstanzen auf die Tagesordnung rufen wird.  Aber darin liegt eine Chance für die Pflegeheimbetreiber, wenn sie darlegen könnten, dass sonst Bewohner gefährdet würden.

 

Folge 2:
Bis ein Personalbemessungsverfahren im Sinne des SGB XI § 113c implementiert ist, vergehen noch mindestens 6-7 Jahre. Bereits im Jahr 2000 wurde das PLAISIR-Verfahren im Auftrag des Bundesseniorenministeriums und mit wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Ergebnis: Ein durchschnittlicher Pflegeaufwand für Kommunikation, Betreuung, Behandlungs- und Grundpflege von 131 Minuten pro Tag! Das ergibt eine Summe von knapp 41 Vollzeitstellen für eine Einrichtung mit 80 Bewohnern. Der heutige Durchschnitt liegt bei etwa 31 Vollzeitstellen. Man hat angesichts dieses Mehrbedarfs und unter anderen Vorwänden die Einführung in Deutschland abgelehnt.

 

Es ist nicht nur für die Praktiker offenkundig und nicht mehr zu leugnen, dass ein höherer Personalbedarf besteht! Glaubt jemand ernsthaft, dass in sechs bis sieben Jahren ein Verfahren zur Personalbemessung zur Umsetzung kommt? Wenn es nicht durch einen höheren Solidarbeitrag (Demografieabgabe oder höherer Pflegeversicherungsbeitrag = PSG III) gegenfinanziert werden kann? Wohl kaum.
Die Pflege braucht mehr Personalstellen, damit Menschen diesen so interessanten und vielseitigen Beruf bis zur Berentung überhaupt ausüben können.

 

Fazit:
1. Bis 2020 werden weitere Pflegekräfte den Beruf verlassen und es wird vor dem Hintergrund der Diskussionen in der Öffentlichkeit und weiteren, beinah unvermeidlichen Skandalen immer schwerer, junge Leute für den Beruf zu begeistern.

 

2. Die Verbesserung der Personalschlüssel und deren Refinanzierung sollte bundeseinheitlich und unverzüglich zur Chefsache des Gesundheitsministerium werden, um einen Kollaps zu verhindern. Es kann nicht länger allein den Ländern bzw. den Pflegeselbstverwaltungen überlassen bleiben.

 

Folge 3:
Mit dem neuen Gesetz wird ein verändertes Begutachtungsverfahren folgen, das niemandem, der von Pflege betroffen ist, bei der täglichen Pflege wirklich dient, wenn die Pflege-„Bedürftigkeit“ nicht auch verstanden wird im Sinne eines Mehr an Personalressourcen – sprich Pflegezeit.
Die Dokumentationsgrundlagen und die EDV müssen umgestellt werden. Auch bei Umsetzung der Empfehlungen durch Bundesregierung werden die Pflegekräfte es schwer haben, den professionellen Filter anzulegen. Um einen möglichst gerechten Pflegegrad zu ermitteln, müssten die Dokumente der Pflege die Sprache des NBA möglichst passgenau abbilden. In diesem Bemühen werden aber die Heime das Rennen verlieren. Es ist bereits jetzt absehbar, dass viele heute in Pflegestufe 3 oder 3H es mit dem neuen NBA nicht so ohne weiteres in den vergleichbaren Grad 4 oder 5 schaffen werden.
Fazit:
1. Die Kosten im Zuge der Umstellung auf das neue NBA (EDV, Dokumentationsumstellungen, Mitarbeiterschulungen) werden für die Heime zunehmen.
2. Nach dem Auslaufen der Besitzstandwahrung im Sinne der Überleitungsregeln wird es für die Einrichtungen schwerer werden, Bewohner in hohe Pflegegrade zu bekommen. Da die Höhe der Pflegegrade an die Personalschlüssel gekoppelt sind, wird es etwa ab 2018 nach und nach zu einem Absinken der darüber generierten Planstellen kommen.

 

Folge 4: 

 

Im neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff liegen klare Chancen im Hinblick auf pflegesatzwirksame Argumente. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff – erfordert eine Anpassung der Rahmenverträge, aber dazu müssten die Beteiligten der Pflegeselbstverwaltungen den Mut aufbringen, zumindest moderat, verbesserte Personalschlüssel festzuschreiben, die allerdings klar flächendeckende Erhöhungen der Pflegesätze zur Folge haben.
Den Heimträgern müssten die Veränderungen der Bewohnerstruktur eigentlich schon längst Anlass gegeben haben, ihre Konzepte in Orientierung an pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen neu zu formulieren. Leider ist zu beobachten, dass vielen Heimträgern oft die Kompetenzen fehlen und sie wenig Interesse daran zeigen, solange eine wirtschaftlich ausreichende Belegung nicht in Gefahr ist. Die entsprechende Forderung des Pflegebeauftragten Laumann nach konzeptioneller Neuausrichtung der Heime erschallt hier im luftleeren Raum.

 

Allerdings bedeuten nicht für jeden Heimbetreiber die vielleicht durchsetzbaren Pflegesätze eine finanzielle Absicherung; vor allem dann nicht, wenn man sich als eher höherpreisige Einrichtung mit Tariflöhnen etc. in Konkurrenz befindet zu Einrichtungen, die zu geringeren Preisen Pflege anbieten können. Denn bei einer drohenden Fehlbelegung aufgrund von Nachfrageschwund erhöhen sich die finanziellen Risiken enorm.

 

Mit den gedeckelten Beiträgen von Seiten der Pflegeversicherung wird es, wenn die Pflegesätze nicht eine deutliche Erhöhung erfahren, nicht möglich sein, den Mehrbedarf an Personal – wie der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die neuen Konzepte es geradezu erfordern – zu decken.

 

Fazit:
1. Höhere Pflegesätze zur Verbesserung der Personalsituation in den Heimen werden sich auf dem Markt und gegenüber den Trägern der Sozialhilfe kaum oder nur zu einem sehr geringen Prozentsatz (unter 5%) in der erforderlichen Weise durchsetzen lassen.
2. Den Trägern bleibt nichts anderes, als den Druck wieder an diejenigen weiter zu geben, die sich nicht wehren können, an die Pflegekräfte.
 

 

Folge 5:

 

Bei genauerem Hinsehen hatten wir schon fünf Pflegegrade (0, 1,2,3, H). Und die kognitiven Einschränkungen von demenzkranken Menschen waren mit den Paragrafen 45 und 87b SGB XI bereits abgebildet.  Neben körperlichen sollen nun endlich kognitive Fähigkeitsstörungen berücksichtigt werden. Allerdings erhält der Pflegegrad 1 kaum nennenswerte Leistungen. 27 Prozent derjenigen, die nach heutiger Begutachtung in Stufe 1 gekommen wären, werden ab dem 1.1.2017 leer ausgehen.  Für Menschen in der heutigen Pflegestufe 1 - demnächst Grad 2 - sinkt die Zuzahlung von heute 1064 Euro auf 770 Euro. Für Menschen in der Pflegestufe 2 sinkt die Zuzahlung noch um 68 Euro. Die Pflegegrade 1 und 2 werden sukzessive aus den Heimen verschwinden. Sie sollen und wollen ja lieber Zuhause gepflegt werden. Genau das ist vom Gesetzgeber im Sinne von ambulant vor stationär beabsichtigt. Und die viele Bewohner, die es nicht mehr in die Pflegegrade 4 oder 5 schaffen, werden in Pflegegrad 3 abrutschen.

 

Fazit:
1. Die Arbeitsverdichtung wird in den Heimen weiter zunehmen, da weniger Menschen der unteren Pflegegrade das Klientel bilden und gleichzeitig eine Ballung im Bereich Grad 3 und 4 stattfinden werden. 
2. Diese Entwicklung wird vor allem dann zu weiteren Notständen führen, wenn die Personalschlüssel keine signifikante Anpassung erfahren.

 

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