Pflege von Menschen mit Demenz in Heimen

 

 

Demenzpflege in Heimen
18 Pflegeschüler*innen eines Osnabrücker Oberkurses in der Altenpflege erarbeiteten im Anschluss an eine Unterrichtsreihe zum Thema Demenz eine Art Forderungskatalog an politisch Verantwortliche und Vorgesetzte. Folgende Ausgangsfrage leitete ihre Überlegungen:
Was brauchen professionell Pflegende für ihre Teams, um in Pflegeheimen insbesondere Menschen mit Demenz fachlich angemessen so zu pflegen, dass sie sich selbst und dem Bewohner gerecht werden können?

 

Aus den Aussagekomplexen zu den
1. Einstellungsvoraussetzungen
2. Rahmenbedingungen
3. Fachlichen Inhalten und Konzepten und zur
4. Teamentwicklung
greift der Artikel einige zentrale Aussagen der Schüler*innen heraus.

 

Was durchgehend deutlich wurde:
Die Rahmenbedingungen und Abläufe im Pflegebetrieb der Altenheime wurden bei fast allen als defizitär erlebt. So erleben die Schüler*innnen in der Praxis besonders häufig, dass Pflegeteams nicht gut zusammenarbeiten. Die Gründe dafür scheinen sehr vielschichtig. Umso mehr deutet sich aber gerade hier Handlungsbedarf an. Offensichtlich ist schon die Empathie- und die Teamfähigkeit sowohl von Bewerbern wie von bereits Beschäftigten nicht gut ausgebildet, sollte aber ein wichtiges Einstellungskriterium bei Bewerbern darstellen. Gerade im Zuge der Zunahme dementiell erkrankter alter Menschen in Heimen und Krankenhäusern sei ein hoher Grad an Empathiefähigkeit vonnöten, um fachgerechte Pflege gelingen zu lassen. Oft hielten sich Vorgesetzte und Kolleg*innen nicht an Absprachen oder es fehle ihnen an Umsicht.

 

Aber auch der Mangel an Zeit und Raum für regelmäßigen, systematischen Kommunikationsaustausch sowie an effizienter, interner Kommunikation wurden dafür herangezogen, dass es in vielen Pflegebetrieben an Team-Spirit und effizienter Besprechungskultur mangelt. Einige Schüler*innen betonten die Wichtigkeit einer guten Arbeitsatmosphäre, da sich diese auch direkt auf die Qualität der Pflegebeziehung zum Bewohner auswirke. Auch teaminterne Veranstaltungen, gegenseitiges Kennenlernen jenseits der rein beruflichen Zusammenarbeit und Feiern mit und ohne Bewohner*innen können einen Beitrag leisten zur Entwicklung eines Teamgeistes.

 

Die Schüler*innen nehmen in ihrer Praxis immer wieder wahr, dass bei den Pflegekräften der verständnisvolle und von Respekt geprägte Kommunikationsstil nicht mit ihren Erwartungen und Vorstellungen übereinstimmt. Dieser Mangel übertrage sich auch auf den Umgang miteinander. Und so erleben die Schüler*innen im praktischen Alltag oft, dass mit Konflikten innerhalb der Pflegeteams nicht angemessen umgegangen wird. Mobbing und unkollegiales Verhalten seien aber besser zu vermeiden, wenn es in den Einrichtungen eine gute Feedback- und Besprechungskultur gäbe. Den Fall- und Bewohnerbesprechungen sollte ein sehr viel höherer Stellenwert zukommen. Dabei müsse es selbstverständlich sein, dass die Teilnahme Dienstzeit sei. Ferner sollte auf eine gute Ablauf-Struktur mit Zeitdisziplin und ergebnisorientierter Moderation geachtet werden. Viele Leitungskräfte sähen allerdings in Bewohner,-, Fall,- und Teambesprechungen lediglich Zeitfresser.

 

Leider fehle es vielen Pflegekräften auch an der Kompetenz, sich selbst und ihre Arbeit zu reflektieren. Sie sei wichtig, die eigene Arbeit zu überprüfen. Denn nicht allein die Ergebnisse rein verrichtungsorientierter Arbeiten seien zur Bewertung der Pflegequalität maßgebend, sondern vielmehr die Art und Weise, wie Pflegende (als Team) mit Konflikten umgehen können und die Beziehungsgestaltung gelinge.

 

Allerdings nehmen die Schüler*innen auch wahr, dass es kaum Gelegenheiten bzw. Angebote gebe, die Arbeit und das eigene Erleben und Verhalten systematisch, das heißt strukturiert, professionell und durch fähige Vorgesetzte moderiert, zu reflektieren, um zielvereinbarungsgerecht, effektiv und abgestimmt zu arbeiten und sich schließlich die Erfolge der gemeinsamen Bemühungen und Erfahrungen bewusst machen zu können. Die Erfahrungen mit Teambesprechungen seien meist negativ, da sie meist als reine Informationsweitergabe erlebt werden.

 

Die allgemein im Pflegebereich hohe Krankheitsquote wird ebenfalls als Belastung erlebt. Personalausfälle können oft nur unzureichend und zur Belastung aller durch „Einspringen aus dem Frei“ kompensiert werden. Ein verlässlicher Dienstplan steht aber ganz oben auf der Wunschliste der meisten Schüler*innen!
Praxisanleitung finde nicht die gebührende Berücksichtigung im Pflegebudget. Vielfach werden die Schüler*innen ohne oder mit nur sehr kurzer Einarbeitung voll zu pflegerischen Arbeiten herangezogen. Die explizite Freistellung von ausgebildeten Praxisanleitern müsse nicht nur gefordert, sondern auch dienstplanerisch umgesetzt werden.

 

Andererseits fehlt es auch vielen Pflegekräften an Selbstpflegekompetenzen, um gesundheitsbelastenden Ursachen ihres Berufsalltags gezielt entgegenzuwirken. Angefangen bei einem sehr mangelhaften Organisationsgrad der Berufsgruppe insgesamt bis hin zur Nutzung von Möglichkeiten der individuellen Selbsthygiene lassen viele Pflegekräfte solche Chancen ungenutzt.

 

Beim Thema Flexibilisierung der Arbeitszeiten stießen die Schüler*innen auf ein berufsspezifisches Dilemma: Während in anderen Branchen für erziehende Eltern bedeutet, dass eine Arbeitszeit gesucht wird, die etwa im Bereich von 08:00 bis 12:00 Uhr liegt, ist dies genau das Zeitfenster mit eher geringerer Pflegeintensität; das heißt der Arbeitseinsatz im professionellen Pflegebetrieb ist dann gefragt, wenn auch in der Familie die erziehende und haushaltführende Person zu Hause gebraucht wird. Inwieweit das Angebot einer pflegeheimeigenen Kita hier eine Problemlösung darstellen kann, wurde kontrovers diskutiert.

 

Vielfach erleben die Schüler*innen den Theorie-Praxis-Gegensatz auch am Beispiel einer ungenügenden Hilfsmittelausstattung. Die Anschaffung werde auf oberer Leitungsebene nicht selten mit Hinweis auf zu hohe Kosten oder durch Infragestellung des Nutzens boykottiert. Der Zugriff auf solche Hilfsmittel sei aber Voraussetzung, um einerseits Gelerntes anwenden zu können, aber auch um andererseits Pflegeprobleme zielführend und im Interesse der Bewohner*innen zu lösen. Vielfach ergeben sich oft keine Erprobungsspielräume, so dass sich eine unreflektierte Routine einstellt. Allerdings sind gerade die Mobilisierungsmöglichkeiten und –angebote für Heimbewohner*innen Kernelemente des Pflegeauftrags, um beispielsweise Mobilität im Sinne größtmöglicher Selbstständigkeit zur erhalten oder zu fördern.

 

Geregelte Pausen mit einem Mahlzeitenangebot, freie Getränke für Mitarbeiter, aber auch eine zeitnahe Überstundenvergütung und/oder die Planung mit Arbeitszeitkonten seien eher die Ausnahme. Ferner gibt es kaum Rückzugsmöglichkeiten für Mitarbeiter*innen. Bereitschaftsdienste oder Stand-by-Dienste werden als Kostentreiber gesehen. Springer- oder Sitzwachenpools werden nicht erwogen oder mit Hinweis auf mangelnde Bereitschaft oder Zusatzkosten a priori ausgeschlossen.

 

Viele Einrichtungen verzichten unzeitgemäß weiterhin auf den Einsatz einer EDV-gestützten Pflegedokumentation. Zwar haben sich die meisten Einrichtungen auf die Umstellung auf die von der Bundesregierung initiierten Verschlankungskampagne eingelassen, befinden sich aber noch in der Umstellungsphase mit zusätzlichem Aufwand. Und die meisten Heime verzichten darauf, den Einsatz von Sprachcomputern, Tabletts etc. zu erproben. Hier werden Chancen einer weiteren Effizienzsteigerung hinsichtlich Pflegeprozesssteuerung vertan.

 

Mehrfach vermissen die Schüler*innen in ihren Einrichtungen das Angebot eines Nachtcafes. Dies kann Bewohner*innen mit Hinlauftendenz und/oder gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus als Anlaufstelle dienen, so dass Fixierungsmaßnahmen umgangen werden können und der Nachtdienst ungestört die Kontrollgänge durchführen kann.

 

Einhellige Meinung war, dass nicht allein Validationstechniken als vielmehr die dahinterliegende Grund-Haltung dazu führen kann, ein entspannteres Verhältnis zur Bewohner*in und ebenso auf das Stressempfinden und Wohlbefinden der Pflege-Mitarbeiter*innen zurückwirkt!

 

Die freie Arztwahl stellt sich in fast allen Einrichtungen als eine kontraproduktive und mit Mehrarbeit für die Pflege-Mitarbeiter*innen verbundenen Faktizität heraus. Eine gesetzliche Regelung, dass beispielsweise ab einer bestimmten Bewohnergröße Heime einen geriatrisch oder gerontopsychiatrisch fortgebildeten Heimarzt anstellen können (müssen?), würde nicht zuletzt im Hinblick auf die gesundheitliche bzw. medizinische Versorgung der Bewohner*innen Vorteile bringen und darüber hinaus zu häufige oder unnötige Krankenhauseinweisungen verhindern.

 

Examinierten Pflegekräften in der Altenhilfe kommt eine besondere Bürde zu, nämlich neben der Verantwortung für die Pflegeprozesse der ihnen anvertrauten multimorbide erkrankten Bewohner*innen auch sicherzustellen, dass die über zu 50 Prozent angestellten, nicht-examinierten Hilfskräfte fachgerecht und personzentriert pflegen. Deren Wissen ist allerdings in der Regel nicht ausreichend, so dass sie von den Examinierten immer wieder angeleitet und kontrolliert werden müssen. Dadurch gehe Zeit am Bewohner verloren. 

 

Die Ergebnisse dieser pflegefachlich motivierten Standpunkte der Schüler*innen werfen ein Schlaglicht auf die Situation der Pflege von demenzerkrankten Menschen in Heimen und die daraus ableitbaren Forderungen zeugen von einem hohen Maß an Reflexionsfähigkeit und fachlichen Wissen.

 

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