Politik ohne Weitsicht

 

 

Nicht die Bereitschaft der Politik, Probleme lösen zu wollen, stelle ich in Frage, sondern die Bereitschaft die wichtigen Probleme (der Zeit) als solche wirklich erkennen zu wollen. Man kann feststellen, dass die Politik nicht auf namhafte Wissenschaftler hört, sondern sich zuvörderst an Klientelinteressen einerseits orientiert und andererseits Überzeugungen pflegt, deren Kern längst überholt oder die ethisch höchst fragwürdig erscheinen müssen. Insbesondere christlich orientierte und konservative Parteien handeln dabei längst und ohne es zu bemerken gegen ihre eigenen Grundsätze.

 

Allgemein verbreitet ist der Glaube an die Wirkkraft und Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstums im Sinne stets steigender Produktion, sowie der unerschütterliche Glaube an eine (kapitalistische) Marktwirtschaft, die alles regeln wird.

 

Nun sind dies aber eben erst einmal reine Glaubenssätze, nachgeplappert ohne profundes Wissen. 
Ferner entpuppen sich die Entscheidungen und (Gesetzes)Formulierungen der meisten Politiker als interessengeleitet, so dass man fast von Verführung sprechen kann. Lobbyismus, Intransparenz durch komplizierte Gesetze und Hinterzimmergespräche bis hin zu offenkundiger Korruption durchziehen gemeinhin das politische Leben von vielen Abgeordneten.
Würden die Politiker den Empfehlungen namhafter, prominenter Wissenschaftler und Philosophen wie Precht, Lesch, Sell, Quaschning, Guérot, von Hirschhausen, ... etc. eher folgen als den Wirtschaftsvertretern namhafter Unternehmen, dann hätten wir eine andere Republik: Auf den ersten Blick ärmer, aber zufriedener und langfristig überlebensfähig. Schon lange hat reiner Konsum zur Befeuerung von Wachstum viel Ähnlichkeit mit dem Zauberlehrling; er ist außer Kontrolle geraten,  schädigt Umwelt und Gesundheit und will sich nicht bändigen lassen, weil ihm die Einsicht fehlt. Wir brauchen aber dringend ein Einsehen und dies erfordert zuallererst einen politischen Kurswechsel.

 

Natürlich bedeutet der Kurswechsel in der Politik auch Verzicht, man könnte es auch Disziplin nennen, aber gebetsmühlenartig zu wiederholen, der Markt würde alles durch eine veränderte Nachfrage regeln und scheinheilig so zu tun, als dürfe man dem Bürger nicht seine Entscheidungsfreiheit eben auch für Schädliches nehmen, ist verantwortungslos und blind.

 

Verzicht, aber worauf? Verzicht auf SUVs und Kreuzfahrtschiffe, Flugreisen, Billigfleisch, Überproduktion, Subventionen, Wegwerfprodukte und so weiter. Dafür mehr fleischloses Essen, weniger Autoverkehr, mehr öffentlicher Nahverkehr, mehr körperliche Betätigung durch Radverkehr, weniger Konsum, Ausbau und Nutzung regenerativer Energien.

 

Stellen Sie sich vor, es gäbe heute keine Anschnallpflicht im Auto und kein Rauchverbot in Restaurants. Haben diese Vorgaben (oder Bevormundungen) zu weniger Lebensqualität oder gar Elend geführt? Nein. Im Gegenteil. Mehr Radverkehr und weniger Fleischkonsum wird gesündere Menschen UND eine sauberere Umwelt zur Folge haben.

 

Wer will das nicht? Es wollen diejenigen nicht, die entweder darin nur "Bevormundung" des Bürgers, genauer des Kunden, sehen oder diejenigen, die mit den Erlösen ihrer Verkäufe (von Autos und billigem Fleisch) ihre Renditeträume verwirklichen.

 

Natürlich braucht der Mensch Regeln und eben auch Gebote und Verbote. Bei den meisten darauf zu setzen, dass ihre Vernunft über den Trieb und den Schweinehund siegt, ist nicht nur naiv, sondern kaschiert letztendlich nur eine Doppelmoral, deren eine Seite darauf setzt, dass man direkt als Unternehmer oder indirekt als Verbraucher von den Verkäufen schädlicher Ware profitiert.

 

Profit und Rendite als neue Heilsversprechen im Kostüm der Wachstumsideologie entlarven sich per se als neue Ersatzreligion, die sogar der tradierten Religion zum Beispiel des Christentums grundlegend widersprechen.

 

Was aber die Menschheit braucht, ist mit Hilfe der Wissenschaften die realen und die wichtigen Probleme möglichst rechtzeitig zu erkennen und nicht das unbeirrbare Festhalten an neoliberalen Glaubenssätzen.

 

Diese Gesellschaftsform mit dem Credo "Wachstum sichert Wohlstand" ist in die Sackgasse geraten; nur können es die "Gläubigen" noch nicht erkennen; sie rennen vor die Wand. Die Gesellschaft zeigt dabei eklatante Spaltungen, die den Frieden und das Überleben unserer Spezies gefährden. Und ich rede nicht allein von der Spaltung von Arm und Reich bei schleichender Auflösung des Mittelstandes. Die Neoliberalen fragen bei eher ethisch gefärbten Forderungen aus dem linkspolitischen Lager immer, wer denn das alles, nämlich Rente, Grundeinkommen, soziale Projekte, etc. bezahlen solle; es müsse ja erst einmal "erwirtschaftet" werden. Dabei unterschlagen sie aber immer - und das meist ohne böse Absicht, denn viele plappern einfach nach -, dass ja bereits erwirtschaftet WURDE! Der Gesamtwohlstand wurde von arbeitenden Menschen ERARBEITET. Aber nur Privilegierte haben Zugriff auf die Gewinne. Am Vermögen des VW-Managers haben alle Mitarbeiter des Unternehmens teilgehabt, nämlich durch Arbeit in Entwicklung, Produktion und Verkauf der Fahrzeuge.

 

Zu behaupten, es sei kein Geld da, ist schlichtweg Selbstbetrug. Die Unverhältnismäßigkeit der Erwerbseinkommen sowie der Verteilung von Vermögen hat ein Ausmaß erreicht, das mit moralischen und rationalen Maßstäben nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dies wissend, wagen politisch Verantwortliche keine Gegenmaßnahmen. Dies hat verschiedene Gründe, nicht allein die Korruptheit oder Verführbarkeit einiger Politiker.

 

 

 

Und hier kommen wir zur nächsten Spaltung in unserer Gesellschaft, nämlich die Spaltung von Wissen, Bildung und wissenschaftlichem Erkenntnisstand auf der einen und Meinen (Glauben), Unbildung und Falschinformation (manchmal auch Dummdreistigkeit) auf der anderen Seite, auf der sich die Ungenauigkeit bis hin zur Heuchelei und Lüge in einer komplexeren Welt einnistet. Glücklich darf sich wähnen, wer in diesem Labyrinth ausreichend Macht (Geld, Ressourcen oder Waffen) besitzt, dem die Manipulation nicht anficht und dem Aufklärung egal ist.

 

Brauchen wir ein neues Zeitalter der Aufklärung? Ja! Manchmal schimmert es durch bei der Rufe nach "Faktencheck". Nur leider dringen Klarstellungen und Wissen nicht oft genug durch den Dschungel der "Meinungen". Erst wenn etwas vor die Wand gefahren ist und einen lauten Knall verursacht hat, wird das Rad meist zu spät gewendet. (z.B.: Atomkraftausstieg, Klimakatastrophe, Amokläufe, Pflegenotstand) Und selbst dann gibt es noch Leugner. Und die Ungebildeten werden ihnen glauben. Und gegen einen Glauben anzukämpfen, ist eine mehr als heroische Tat. Die Aufklärer aller Zeiten haben es zu spüren bekommen.

 

Wir sind noch weit davon entfernt, uns selbst aufklären zu lassen, weil es uns an nichts mangelt und doch an vielem fehlt: Bereitschaft zum Mit-, Weiter,- und Umdenken, Transparenz und Entfaltung ethischer und sozialer Kompetenzen.

 

Und solange Erfolg nur am Augenblick und größtmöglichen, materiellen Gewinn gemessen wird und Verantwortung für ein NachUnsLeben fehlt, wird sich daran auch nichts ändern.

 

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