Selbstpflege von Pflegenden

Wenn von Gesundheitsförderung im Rahmen professioneller Pflege die Rede ist, dann ist zunächst die Beratungskompetenz von examinierten Gesundheits- und Krankenpflegern gemeint. Gerade 37 Prozent der Pflegekräfte selber sehen „eine gesundheitsberatende Gesprächsführung als wichtigen Bestandteil ihres Berufs an“. (Heidecker, 2007, S. 10) Beratungsaufgaben sehen viele Pflegekräfte nicht als originären Bestandteil der Pflege. Solche Aufgaben werden gerne Berufsgruppen wie Ärzten, Physiotherapeuten oder Diätassistenten zugeordnet und im eigenen Berufsalltag eher als zusätzliche Arbeitsbelastung empfunden.

Aufgaben der Pflege wie Beratung und Anleitung von Patienten und Angehörigen wurden auch tatsächlich zunehmend aus dem Arbeitsprofil der Pflege zugunsten anderer Berufsgruppen ausgegliedert. So kam es über Jahrzehnte hinweg zu einer selbstverschuldeten Entleerung des Berufsfeldes. Erst in den letzten Jahren zeigen sich Ansätze, bestimmte „originäre“ Aufgaben durch Spezialisierung im eigenen Berufsfeld zu beheimaten oder wieder zurückzuerobern.

Beispiele: Wundmentoren, Kontinenzbeauftragte, Pain Nurse, Stomatherapeut, Palliativ Care, etc.

 

Selbstpflegekompetenz

„Gesundheitliche Selbstkompetenz ist eine wesentliche Voraussetzung zur Gesundheitspflege.“ (Heidecker, 2007, S.13) Wer andere pflegen will, der sollte auch Selbstpflegekompetenzen besitzen, also in der Lage sein, sich selbst im Sinne krankheitsverhindernden und gesundheitsfördernden Verhaltens zu pflegen.
Dabei ist solche Selbstkompetenz nicht beschränkt auf technisch-praktische Fertigkeiten wie zum Beispiel Subcutaninjektion oder ausgewogene Ernährung etc., sondern sie impliziert weit mehr:

- Wahrnehmung eigener Grenzen und Schwächen
- Erkennen von Möglichkeiten der persönlichen und sonstigen Weiterentwicklung
- Gestaltung einer sozialen und natürlichen Umwelt mit verlässlichen Beziehungen
- Vertretung und gegebenenfalls Durchsetzung eigener Interessen
- Verbesserung der Körperwahrnehmung
- Lebensplanung und aktive Karrieregestaltung
- Verbesserung kommunikativer Fähigkeiten

- u.v.m.

 

Wo aber der eigene Körper eher als Gegenstand, als Objekt und nicht als Teil des empfindenden Subjekts ernst und wahrgenommen wird, bleiben natürlich viele Chancen zur Kompetenzentwicklung ungenutzt, weil die „Schuld“ am Krankwerden oder an den schlechten Arbeitsbedingungen ja immer erstmal außerhalb (Zufall, Umweltfaktoren) und damit scheinbar nicht im Verantwortungsbereich der beteiligten Person liegen.

 
Es kann im Allgemeinen festgestellt werden, dass das individuelle Gesundheitsverhalten von Pflegekräften trotz des überdurchschnittlichen Wissens um gesundheitsfördernde Bedingungen und Risikofaktoren quasi umgekehrt proportional ausgeprägt ist. Etwa die Hälfte der Pflegekräfte betreibt nur selten oder nie Sport und über ein Drittel ernährt sich nicht kalorienbewusst. (vgl.: Heidecker, 2007, S.9)

Bekannt ist auch der überdurchschnittlich hohe Prozentsatz nikotinabhängiger Pflegekräfte. Darüber hinaus ist die Krankheitsquote in den pflegerischen Berufen überproportional hoch. Dies ist sicherlich der hohen physischen wie psychischen Belastung und dem zunehmenden Leistungsdruck geschuldet.

 

Aber beginnt Selbstpflege nicht schon genau hier?

Es bleibt nur schwer nachvollziehbar, warum nicht mehr Pflegekräfte beginnen, selbst die Bedingungen ihres Arbeitens zu bestimmen. Klar, es ist traditionell ein sogenannter Heilhilfsberuf, der weitestgehend an die Weisungen aus dem ärztlichen Bereich gebunden ist. Dennoch können Pflegende über sehr viele Dinge hinsichtlich Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzgestaltung durchaus selbst bestimmen. Aber sie finden da leider nicht den solidaritätsstiftenden Schub nach vorne.

 

Unstrittig ist, dass gesundheitsförderndes Verhalten als Selbstkompetenz zum Pflegeberuf gehört wie die Milch zur Kuh. Im Rahmen der Praxisanleitung gehört es hier klar zu den Ausbildungszielen, diese Kompetenzen nicht erst zu wecken, sondern weiterzuentwickeln. Denn schon bei der Bewerberauswahl muss geschaut werden, ob überhaupt Talent für solche Kompetenzen vorliegt. Sicherlich erscheint es manchen übertrieben oder provokant, aber ein deutlich übergewichtiger Bewerber mit nikotingelben, ungepflegten Fingernägeln, der jeglicher sportlichen Betätigung oder irgendeines sozialen Engagements hold ist, dürfte wohl kaum eine Einstellungschance erhalten. Dennoch finden sich immer wieder Exemplare dieser Gattung unter den Auszubildenden und tatsächlich – manchmal gelingt gar die Bekehrung, aber nur zu oft überleben Wandlungsunfähige die Probezeit. Da lässt es das soziale Gewissen vieler Leitungskräfte nicht zu, den Untalentierten eine andere Betätigungsschiene zu empfehlen. Dieses soziale Gewissen ist dann plötzlich ausgeschaltet, wenn es darum geht, die vom Burnout bedrohten, talentierten Mitarbeiter von den Belastungen durch solche Erblasten zu befreien.

 

Interessenvertretung

Die Selbstfürsorge von Pflegenden beginnt bereits dort, wo grundlegende Interessen vertreten werden müssen, z.B. nach adäquater Bezahlung, ausreichenden Pausen, familienfreundlichen Arbeitszeiten, ausreichend qualifiziertem Personal usw.!

Die Möglichkeiten sind hier vielfältig, aber leider werden diese nicht ausreichend genutzt. Und es gibt auch für diese Nichtnutzung viele nachvollziehbare Erklärungen. Hauptgrund dürfte sicherlich die unterschiedlich geartete Fluktuation in diesem traditionellen Frauenberuf sein. Die Frage nach der Versorgungskontinuität der Familien stellt sich erst in den letzten Jahren gravierender. Wo die Gehälter der Familienoberhäupter auch vor dem Hintergrund möglicher diskontinuierlicher Erwerbsbiografien nicht mehr hinreichen, um das Haushaltseinkommen ausreichend sicher zu stellen, sollte anzunehmen sein, dass sich nun endlich mehr Menschen der pflegenden Berufe Organisationen anschließen, die die entsprechenden Interessen vertreten.


Gesundheitsfördernde Arbeits- und Kommunikationsstrukturen

Viele gestresste Mitarbeiter im Pflegebetrieb machen ähnliche Erfahrungen:

Nicht immer ist es die körperliche Belastung oder der Zeitdruck, auch nicht die Hektik oder die fehlende Pause, die als entscheidende Belastung oder als wirklicher Stress erlebt werden. Manchmal kommt man vollkommen platt von der Schicht nach Hause, fühlt sich aber psychisch nicht schlecht, im Gegenteil, man ist stolz und froh, dass man alles „geschafft“ hat!
Was wird nun als besonders belastend und stressend erlebt? Viele Pflegende erleben ständige Zustände und Phasen von Ungewissheit – auch die Ungewissheit, ob man an seinem freien Tag tatsächlich zu Hause bleiben kann – und uneindeutige Informationen, aber auch fehlendes Feedback im Team oder durch die Vorgesetzten, als besonders belastend.

Oder aber psychisch belastende Erlebnisse im Kontext der pflegerischen Arbeit wie Gewalt durch Bewohner, als unberechtigt empfundene Forderungen und Vorwürfe von Angehörigen, das herausfordernde Verhalten von verwirrten Patienten oder das Versterben eines Bewohners, die nicht aufgearbeitet werden konnten, werden als Belastung wahrgenommen, lange mitgeschleppt und drücken aufs Gemüt. Diese Leerstellen oder Hohlräume machen den Körper porös und solche leeren Hohlkörper haben Vakuumcharakter. Werden diese Vakuen nicht mit dem richtigen Material gefüllt, wird das Ganze krank und brüchig.

Aus meiner Sicht und Erfahrung hat hier das Pflegemanagement die besten Chancen, durch geeignete Instrumente und Maßnahmen gegenzusteuern. Um gesundheitsfördernde Arbeits- und Kommunikationsstrukturen zu schaffen oder zu entwickeln, muss dies zunächst einmal als Managementaufgabe des Pflegedienstes gesehen werden.

Aber es ist zugleich Aufgabe der Pflegeteams. Niemand darf sich dieser Verantwortung entziehen und die „Schuld“ allein bei der Leitung suchen. Allerdings brauchen Pflegekräfte die entsprechenden Strukturhilfen, die Leitung auf den Weg bringen kann. Organisatorische Rahmenbedingungen zur Schaffung flexiblerer Arbeitszeiten sind dabei ebenso hilfreich wie ein funktionierendes Beschwerdemanagement oder Vorschlagwesen. Um solche Dinge langfristig und nachhaltig zu implementieren, ist die „Pflege“ einer guten Feedback- und Besprechungskultur besonders erfolgversprechend.

Natürlich dürfen dabei Besprechungszeiten nicht zu Lasten der Bewohnerversorgung gehen oder den finanziellen Rahmen sprengen. Pflegekräfte müssen bereit sein, hier sinnvoll Energie zu investieren, um sie an anderer Stelle zu sparen. Auch geht das Ganze nicht ohne einen verantwortungsvollen Umgang mit den dienstlichen Zeitressourcen.

Unterschätzt wird in diesem Zusammenhang meines Erachtens die Rolle des gewählten Pflegemodells. Geeignet erscheinen mir nur solche Pflegemodelle, die berücksichtigen, dass der Pflegeprozess immer und in erster Linie ein Beziehungsprozess ist und die anerkennen, dass professionelle Pflege immer und vor allen Dingen Teamarbeit ist.

http://www.dbfk.de/download/download/ArtikelHeideckerPraeventionPflege2007-05-07.pdf

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